28. + 29. 04. 2012   Mit dem Zug in die Zentralanden nach Huancayo


José ist pünktlich um 5 Uhr 45 am Hotel, um uns durch das noch verschlafene Lima zur Estacion Desamparados zu fahren. Am Bahnhof selbst ist großer „Bahnhof“, denn die berühmte Bahn verkehrt eben nur 2 mal im Monat. Da wir nur einen Voucher einer Reiseagentur haben und keine „Boletos“, bringen wir die Aufsichtspersonen an den Rand der Überforderung. Das sollte auch weiterhin ein Problem bleiben – immer wieder werden wir von dem Zugbegleitungspersonal nach den „boletos“ gefragt.

 

Vor der eindrucksvollen Diesellok haben sich Eisenbahnfans versammelt, auch aus Deutschland, wie das vertraute Idiom anzeigt. Darunter lernen wir zwei junge Deutsche kennen, Annett Günther und Michael Freese, die in Lima wohnen, arbeiten und studieren für ein halbes Jahr. Mit denen werden wir uns näher anfreunden. Um 7 Uhr ruckelt der Zug aus dem kleinen Bahnhof und fährt ca. 1 Stunde am linken Ufer des Rimac entlang durch endlose Vorstädte Limas. Hier sammelt sich all das, was Landflucht und Megastadt an Problemen bereit halten. An der Lok hängen drei Wagen der Touristikklasse mit komfortablen Sitzen und „Halbpension“ und zwei Wagen der „harten“ Klasse. Wir haben uns die Touristikklasse geleistet, denn hinter unserm Wagon hängt noch ein Barwagen mit offener Aussichtsplattform, die wir weidlich nutzen. In S. Bartolomé (1.600 m) wird die Lok mittels einer vorsintflutlichen Drehscheibe mit Körperkräften umgesetzt. Ich muss an meinen Eisenbahneropa denken, der mir in Kassel damals die Drehscheibentechnik gezeigt hat. Nun ist der Barwagen mit der offenen Aussichtsplattform hinten und bietet nun fast hautnahe Kontakte mit der immer interessanter werdenden Natur. Entsprechend ist das Gedränge um die besten Plätze zum Fotografieren. Wie gut, dass wir mit Annett und Michael die wichtigsten Positionen immer besetzt halten. Der Zug schraubt sich unentwegt in die Höhe, überquert auf „fadenscheinigen“ Brücken schwindelnde Abgründe. Die steilsten Stellen überwindet er im Zickzackkurs, immer wieder sind wir mit dem letzten Wagen ganz vorne, die Lok schiebt, um dann an dem nächsten Zickzack wieder zu ziehen. Manchmal kann man drei verschiedene Schienenebenen übereinander an einem Hang erkennen. Statt der Wendetunnel auf der Gotthardstrecke, von denen die Andenbahn nur zwei hat, arbeitet sich unser Zug über Vor- und Rückwärtsrangieren in die Höhe. Hinter Matucana (2.300 m) wird das Tal immer steiler und wilder. Es trägt zurecht den Beinamen „Infiernillo“(kleine Hölle), vielleicht auch wegen der Bergwerksiedlungen und den Narben, die der Tagebau der Natur zugefügt hat. Trostlos die Wellblechhütten der Bergwerksiedlung Chicla (3.730 m). Die wachsende Höhe macht sich durch die kühlere Luft bemerkbar und die nun häufiger benutzten Anoraks der Mitfahrer auf der Aussichtsplattform. Bahn und Straße nehmen einen letzten Anlauf, um die Passhöhe zu erklimmen. Der Zug durchsticht den Berg bei 4.781 m mit einem 1117 m langen Tunnel. Die Bahnstation Galera bietet einen prachtvollen Blick auf die Laguna Ticticocha und das Tal gen Osten. Die Straße erklimmt am Anticona-Pass eine Höhe von 4.818 m (höher als der Mont Blanc!). Im Zug werden jetzt Sauerstoffflaschen herumgereicht und von etlichen Mitreisenden genutzt.

Ob es an der Höhe liegt oder ist das letzte Abendessen oder vielleicht doch das Eis im Pisco Sour schuld, Atahuallpas Rache ist in mein Gedärm gestürzt. Gottseidank gibt es vernünftige Toiletten in dem Zug. Mit Imodium-Tabletten und fest verwurzelt auf dem Sitz kann ich das Problem in Schach halten.

Die Minenstadt La Oroya (3.726 m) ist mit ihren riesigen Abraumhalden an Scheußlichkeit kaum zu überbieten. Ein Mitreisender aus der Schweiz meint, dies sei die dreckigste Stadt der Welt. Der Zug schlängelt sich im Abendlicht durch das Tal des Rio Mantaro. Um 18 Uhr verschwindet die Sonne und erst gegen 20 Uhr nach 13 Stunden Fahrt rumpelt der Zug in Huancayo ein. Da wir noch kein Hotel haben, schließen wir uns Annett und Michael an und haben Glück, in ihrem vorreservierten Hotel auch noch ein Zimmer zu erhaschen. Die gemeinsame Taxifahrt dahin, gestaltet sich schwierig, weil der Taxifahrer nicht nur das Hotel nicht kennt, sondern überhaupt ziemlich unkundig ist. Auch die Verständigung klappt nicht so recht, obwohl Annett und Michael fließend Spanisch sprechen. Aber vielleicht versteht er das auch nicht.

 

29.04.   Huancayo (3.271 m) ca. 400.000 Einwohner, besitzt so gut wie keine touristische Attraktion außer der Landschaft. Es ist so gesichtslos, wie wir inzwischen viele Städte in Peru und Bolivien kennen gelernt haben: halbfertige Häuser, leicht heruntergekommen, viel Schmutz und die Atemwege belastende Autoabgase. Die z.T. alten Autos verbrennen den Kraftstoff in dieser Höhe nicht vollständig. Und die Lastwagen und Busse pusten den Dieselruß nur so in die Luft. Wir bedauern die meist weiblichen Verkehrspolizisten, die diesem giftigen Smog ausgesetzt sind. So unansehnlich die Gebäude der Stadt sich ausnehmen, umso freundlicher sind die Menschen. Eine Polizistin sucht mit rührendem Eifer das Touristikunternehmen, mit dem Annett und Michael einige Touren unternehmen wollen. Leider scheint es das nicht mehr zu geben. Wir verbringen mit Annett und Michael den Sonntagvormittag. Der in den Reiseführern angepriesene Sonntagsmarkt ist eher enttäuschend. Er ist zwar nicht touristisch verfremdet, aber die erwarteten Lebensmittel und lebenden Tiere halten sich in Grenzen. Außer ein paar Meerschweinchen und Wachteln sind fast nur Klamotten und Schuhe angeboten, dies allerdings in beeindruckender Zahl, angeboten. Neben dem Markt finden wir ein gemütliches Restaurant mit Eventcharakter. Katrin startet ihren zweiten Versuch, Cuy zu essen. Auch diesmal kann sie kaum etwas Fleisch von den reichlichen Knochen herunterknabbern. Ich übe mich heute im fasten, damit mein Gedärm sich beruhigt. Während Annett und Michael einen Ausflug zu den Torre torre Felsen machen, vergammeln wir den Nachmittag mit Schreiben, Lesen und Dösen in einem netten Restaurant an der Plaza. Zum Abendessen laden wir Annett und Michael ein, denn sie sind so lieb und vertrauensvoll, uns ihren Schlüssel zu der Wohnung in Lima zu geben. Damit wir dort ein ruhige Basis für den nächsten Sprung in die Cordillera Blanca haben. Wie gut, dass wir die beiden kennen gelernt haben. Damit hat sich der Aufenthalt in Huancayo doppelt gelohnt.

 

 

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