25. - 20. Mai  Riobamba und Chimborazo

 

Gestern hat Ecuador mit einem Nationalfeiertag der siegreichen Schlacht, die General Sucre im Auftrag Simon Bolivars 1822 am Vulkan Pichincha gegen die Spanier geschlagen hat, gedacht. Auch heute sind die Geschäfte zu und eine grosse Menschenmenge fährt in die Natur oder auf die Märkte unterhalb des Panecillo-Hügels. Unser Taxi braucht wegen der vielen Staus eta 1 Stunde bis zum weit entfernten Busterminal Süd. In dem riesigen Busterminal finden wir nur mühsam die Gesellschaft, die nach Riobamba fährt. Auch die Hinweise, aus welcher Bucht der Bus abfahren wird, können nicht widersprüchlicher sein, so dass es einigen Frust, Schweiss- und Angstperlen gekostet hat, bis wir endlich im richtigen Bus sitzen und das Gepäck sicher verstaut ist.

Ich hatte mich so darauf gefreut, entlang der "Avenida de los Vulcanos" zu fahren und die wundervollen Eisreisen Iliniza, Cotopaxi und Cayambe endlich zu sehen. Aber das Wetter hat anders entschieden. Die dicken Wolkenschichten verbergen den Blick auf die grossen Vulkane. Wie so oft auf unserer Südamerikareise müssen wir den Resieführern blind die Existenz der hohen Berge glauben. Erst kurz vor Riobamba nach vierstündiger Fahrt reisst die Wolkendecke etwas auf und gibt einen atemberaubenden Blick auf den Chimborazo, das Ziel unserer Träume, frei. Wegen des Feiertag ist unser im Lonely Planet Reiseführer empfohlenes Hotel "Monte Carlo" ausgebucht, so dass wir in einem teureren Hotel ausserhalb der Stadt Riobamba unterschlüpfen müssen. Der Blick vom Balkon auf den von der Abendsonne beschienenen Chimborazo entschädigt für manche Nachteile dieses Hotels. Deshalb nehmen wir uns ein Taxi in die Innenstadt, um im Hotel Monte Carlo für die nächsten Tage zu reservieren. Das Hotel sollte nicht nur gemütlich und angenehm sein und direkt in der Aktstadt liegen, damit Katrin während unserer Chimorazo-Tour gut allein bleiben kann und sich auch wohlfühlt.

Der erste Eindruck beim Bummel in der  180.000 Einwohner zählenden Stadt fällt positiv aus. Hier kann sich Katrin wohlfühlen. Wir schlendern über die Plaza Maldonado, die von Riobambas Kathedrale und dem Rathaus flankiert wird, bummeln die Strasse "Primera Constituyente" (hier in Riobamba wurde die erste Verfassung Ecuadors 1830 unterzeichnet.) zum Restaurant "El Delirio". Dies entzückende Restaurant ist im Hause Simon Bolivars eingerichtet. Sein Name rührt von einem berühmten Gedicht, das Bolivar auf den Chimborazo verfasst hat: "Mi Delirio sobre el Chimborazo" (vollständiger Text in Spanisch hier)

 



26. Mai

Um 8 Uhr 30 sind wir mit unserem Tour-Operator "Julio Verne" verabredet, um die Chimborazo-Tour zu besprechen und die erforderliche Ausrüstung zu checken und zu leihen. Die niederländische Angestellte macht einen kompetenten Eindruck und ist sehr freundlich behilflich beim Aussuchen des Equipments. Mit den ausgeliehenen Stücken sehen wir, als ob wir eine Mount Everst- Besteigung vorhaben. Wie ich in den steifen schweren Hartschalen-Boots in stielem Gelände mich bewegen soll, ist mir noch nicht klar. Thomas hat Mühe, die passenden steigeisenfesten Schuhe zu finden. Aber dafür gibt eine Lösung, für die Wetterfrage nicht. Man rät uns, am Sonntag zur Casa Condor im Dorf Pilingui San Pablo zu fahren, um dort auf 3.850 m zu übernachren und ein bisschen im Gelände zu trainieren.

Den Rest des Tages verbummeln wir in Riobamba, lernen eine nette italienische Pizzeria kennen, geniessen im etwas erhöht gelegenen Parque 21 de Abril einen Blick auf die neobarocke Kirche San Francesco und Riobamba im Abendlicht. Das von Lonely Planet empfohlene argentinische Steakhouse stellt sich eher als eine Enttäuschung heraus.

 

27. Mai  Pfingstsonntag

Um 8 Uhr 40 geht unser Bus in die Berge zu dem Dorf Pilingui San Pablo. Davor noch ein kräftigendes Frühstück im Hotel zu erhalten, stellt unsere Geduld auf eine harte Probe, so langsam und umständlich geht alles von statten. Nun trennen sich unsere Wege. Thomas und ich streben zum Chimborazo, Katrin verlebt Pfingsten allein in Riobamba.

Trotz mehrerer Ansagen unsererseits, dass wir in San Pablo aussteigen wollen, wäre der Bus vorbei gefahren, wenn mir das Schild zur Casa Condor nicht aufgefallen wäre. Man muss eben hier immer mitdenken und mittun. Als wir die staubige Strasse zur Casa Condor laufen, taucht auf einmal der Chimborazo in aller seiner Pracht hinter einem Hügel auf. Die blendend weisse Südflanke bietet er heute ohne eine einzige Wolke. Er lockt uns buchstäblich. Die Casa Condor ist mit einer Jugendherberge zu vergleichen, nette Zweibettzimmer und eine grosse Küche. Eigentlich ist das "Proyecto Condor" eine ökologische Initiative der Puruha-Indigenas. Leider ist alles etwas heruntergekommen. Sogleich eilen die Einheimischen herbei und sind uns behilflich uns hier einzurichten und die Facilities in Augenschein zu nehmen. Die Einheimischen wohnen mit ihrem Vieh uns gegenüber an einem steilen Hang. Wir werden bekommen durch die Nähe einen Einblick in ihr mühseliges und entbehrungsreiches Leben.

Um 10 Uhr starten wir eine Trainingstour, die in Thomas Wanderführer gut beschrieben und empfohlen wird. Allerdings finden wir nur die dort beschriebenen Markierungspfähle im Gelände, keinen Pfad, geschweige denn einen Weg, wie er im Wanderführer beschrieben ist. Wir müssen uns mühsam durch die Pomora-Pampa, die aus grossen Grasbüscheln mit tiefen Löchern dazwischen besteht, wahren Fussangeln, quälen. Als wir den ersten kleinen Gipfel, Loma Chalata (4.200 m) erklommen haben, erwartet uns nicht nur ein grossartiger Blick auf den Chimborazo. Ein orkanartiger Sturm springt uns an und wirft uns fast um. In der Ferne blinken die Häuser von Riobamba, so dass eine Handyverbindung mit Katrin zustande kommt, der letzte Kontakt bis Dienstag. Da wir sowohl dem Wanderführer als den Markierungsstangen misstrauen, steigen wir einen Hangrücken bis etwa 4.600 m hinan, immer den "Chimbo" im Visier. Das sollte die Trainingsfunktion erfüllen. An der windstillen Leeseite verzehren wir unser Lunch. Ein etwas komischer Geschmack des Schinkens ist das erste Warnzeichen, das mir der Körper sendet. Es soll nicht gut enden.

Der Abstieg beschert uns Kontakte mit wilden Vikuñas in grosser Nähe ( Wer es noch nicht weiss, diese Tiere sind die wilde, nicht domestizierte Form der Lamas, zierlicher und mit kurzem Fell.) Die Tiere sind nicht so scheu und lassen uns sie in aller Ruhe betrachten. Und das vor der grossartigen Kulisse des "Chimbo"! Den Abstieg und Ausgang aus der Pomora Pampa zu finden, soll sich als Hindernis- und Suchlauf herausstellen.

Eigentlich hätten wir gedacht, dass wir  in der Mountain Lodge "Estrella de Chimborazo", ein Base Camp für Chimborazo Unternehmungen der in Ecuador bekannten Bergsteigerlegende Marco Cruz, ein Bierchen nach getaner Arbeit trinken könnten. Aber der Pförtner blickt uns bei diesem Begehr an, als hätten wir ein Mondkalbschnitzel bestellt, so dass wir frustiert von dannen ziehen.  Nach einer kleinen Erholungspause beschleicht mich plötzlich Uebelkleit. Mit zwei Schüben ist mein Magen leer. Kein gutes Vorzeichen! Thomas kocht uns Tee und Spaghetti, von denen ich nur die gekochten Nudeln ohne Beilage verzehre. Langsam wird mir besser.

 

28. / 29. Mai   Chimborazo

Heute hat sich der Chimborazo ganz mit Wolken eingehüllt, als wollte er uns signalisieren, dass wir nicht willkommen sind. Kurz nach 10 Uhr werden wir an der Casa Condor von dem Tour Operator mit zwei Bergführern und zwei Gästen, einem "Ossi" aus Gera und einem Oesterreicher aus Vorarlberg, abgeholt. Allein unser Bergführer Patricio ist nicht dabei. Er komme nach, heisst es. Auf die Frage nach den Wetteraussichten reagieren die Bergführer befremdet und gereizt. Ihre lapidare Aussage, das könne niemand genau voraussagen, überzeugt uns nicht. Nach einer kurzen Fahrt mit dem Kleinbus bis zur Carrell-Hütte (4.780 m) erhalten wir unsere von Julio Verne geliehene Ausrüstung. Es fehlt nichts. Selbst die Bergschuhe für Thomas sind kurzfristig repariert worden. Was ungewöhnlich ist, die Lebensmittel für die nächst höhere Hütte werden auf die Gäste verteilt. Auch die Kommandos sind widersprüchlich. Erst heisst es Abmarsch. Dann gibt es doch noch Lunch in der Carrel-Hütte. Ansonsten kümmern sich die Bergführer wenig um die Gäste.

Eine Dreiviertelstunde benötigen wir, um in dieser Höhe zur Whymper Hütte (5.000 m) hinauf zu steigen mit all dem Gepäck, bei unentwegt starkem Seitenwind. Als uns bereits um 16 Uhr 30 das Abendessen serviert wird, fordert Thomas leicht genervt, dass man uns gefälligst für die Tour briefen und vielleicht mal die Steigeisen anpassen sollte. Letzteres leistet der Bergführer, der so gut wie kein Englisch spricht, offenkundig ziemlich unwillig. Als auch um 17 Uhr unser Bergführer Patricio immer noch nicht zu uns gestossen ist, übernimmt der besser englisch sprechende Bergführer das Briefing für uns alle. So richtig detailliert und auf die Gästegruppe zugeschnitten, ist das alles nicht. In Anbetracht der Tatsache, dass ich für die Tour eine gute Grundlage anessen muss, lässt mich alle Vorsicht bezüglich meines seit gestern offenbar empfindlichen Magens fahren und ordentlich "reinhauen". Der Magen wird sich bitter rächen. Kaum trifft unser Patricio ein, just bevor wir um 18 Uhr uns zur Ruhe legen wollen, da zwingt mich mein Magen zu eruptiver Entleerung. Auf diese Weise lerne ich unseren Bergführer nicht einmal grob kennen. Die Tour soll um 23 Uhr starten; bis 22 Uhr ist uns Ruhezeit zugebilligt. Leider kann ich die Ruheszeit kaum nutzen, da ich mich noch zweimal übergeben muss. Ausserdem meldet sich mein Gedärm als unangnehmer Mittäter. Man kann sich kaum vorstellen, wie man sich seiner Diarrhöe entledigen kann bei orkanartigem Sturm und Minusgraden in dieser Höhe, draussen im Gelände, da die Toilettenanlage der Whymperhütte gerade ausser Betrieb ist. Wofür man sich per Anschlag herzlich entschuldigt. Als wir uns um 10 Uhr p.m. uns den Schlafsäcken schälen, ist mir immer noch übel, meine Knie weich wie Butter. Es ist gar nicht daran zu denken, dass ich den Ansteig auf 6.3010 m zu leisten vermag. Schweren Herzens - schliesslich war die Besteigung des Chimborazo seit Jahren mein grosser Traum - schlage ich Thomas vor, mit Patricio allein zu gehen. So hat er wenigstens die Chance. Ich wäre der Seilschaft sicher nur ein Last. Patricios Reaktion: " No problem! Etwas zaghaft entgegne ich, dass es für mich schon ein Problem sei.

Kurz nach 23 Uhr verlassen die drei Seilschaften - ohne mich - die Hütte. Der Orkan hat an Stärke noch zugenommen. Aber die Gipfelschneehaube des Chimborazo ist frei. Alles Gute! Viel Erfolg! Drei Stunden später weckt mich ein Rumpeln aus dem Halbschlaf. Die Seilschaften sind zurück. Bei der Durchsteigung einer steilen Flanke Richtung Grad hat der Orkan Steinschlag ausgelöst. Thomas ist von einer Steinbombe am Allerwertesten getroffen, der Oesterreicher Markus an seinem Helmrand und einen Bergführer hats an der Hand erwischt. Behende haben die Bergführer beschlossen umzukehren. Ein Blick gen Gipfel zeigt, dass es eine weise Entscheidung war. Denn nun fegen die Wolken über den Berg hinweg; d.h. die weisse Eisfläche bei Nebel wäre auch zu einer gefährlichen Falle geworden. Weiser wäre es allerdings gewesen, überhaupt erst nicht aufzusteigen bei solchem Wetter. Ich kann nicht verstehen, dass solche erfahrene Berführer ein solches Risiko bereit waren einzugehen. Ihr Geld haben sie auf jeden Fall verdient, auch für den Bruchteil der eigentlichen Leistung. Befremdlich auch, dass sie sich jetzt nach diesem Abbruch nicht doch mal ein wenig um die Gäste kümmern, mit Erklärungen und ein bisschen Trost. Man scherzt untereinander noch eine Stunde lauthals, als wäre nichts geschehen. Was bleibt, die restliche Nacht mit Schlaf rumzubringen. Gegen 5 Uhr morgens ist mir endgültig klar, dass mein Schlafsack zu dünn ist. Denn nun klappere ich vor Kälte und versuche die kalten Füsse warm zu reiben. Beim ersten Frühlicht steige ich aus dem Schlafsaal und begebe mich mit allen Klamotten in den Aufenthaltsraum. Der ist zwar auch kalt, aber ich kann mich bewegen umd mit Rumlaufen Eigenwärme erzeugen. Der Orkan tobt mit ungebrochener Kraft um die Hütte. So kann ich wenigstens ab und zu die Türe schliessen, die der Orkan immer wieder aufstoesst, da sie von keinem Riegel festgehalten wird. Ledilich der Umstand, dass sich sich im Rahmen verzogen hat, verleiht ihr etwas Stabilität.

Gegen 8 Uhr sammelt sich alles im Aufenthaltsraum zu einem kleinen Frühstück, bevor wir dann zur Carrellhütte absteigen, um von dort wieder nach Riobamba gebracht zu werden. Katrin ist froh überrascht, uns so zeitig wieder zurück zu haben. Ihre Erleichterung, dass wir gesund wieder vom Berg zurück sind, übertrifft ihr Mitleid mit unserer Enttäuschung über den kläglichen Ausgang der Unternehmung. Mein Magen-Darmtrakt hat sich etwas beruhigt. Ihm werde ich heute aber nur Kamillentee zumuten, bis zum Dinner jedenfalls.

Katrin führt uns durch die Stadt und zeigt uns, was sie in den beiden Tagen ohne uns erlebt und gesehen hat: u.a. die alte Dampfeisenbahn der Ferrocarril Ecuatoriana, die in einem Park abgestellt ist. interessant ist auch der Lebensmittelmarkt, der auch noch am Abend Betriebsamkeit zeigt. Und nebenbei hat sie noch unsere ganze Wäsche gewaschen und im Zimmer zum Trocknen aufgehängt. Improvisieren kennt sie ja aus DDR-Zeiten noch. Zum Abschluss des Tages und zum Abschied von Riobamba essen wir noch einmal im Restaurante "El Dilirio" zu Abend. Auch wenn wir diesmal von Qualität der Zubereitung nicht so überwältigt sind, so macht doch das Ambiente und die exzentrische Wirtin wieder Einiges wett.

 

 

 

 

 

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